Ortskernstärkung in ländlichen Regionen - Bericht zur Ortskernwerkstatt
Viele Orts- und Stadtkerne, insbesondere in ländlichen Regionen, sind von Leerständen und Funktionsverlusten geprägt und stehen vor großen Herausforderungen. Deshalb luden BMLUK, BMWKMS und BMIMI am 01. Oktober 2025 zur Ortskernwerkstatt mit dem Titel „Zukunftsfitte Gemeinden in ländlichen Regionen – Ortskernstärkung im Fokus Integrierter Entwicklungsplanung“ nach Munderfing in Oberösterreich.
Kommunale Herausforderungen im Wandel
Leerstände und Funktionsverluste stellen neben tiefgreifenden demografischen Veränderungen, einem hohen Verkehrsaufkommen, Siedlungsdruck und zunehmender Bodenversiegelung Städte und Gemeinden vor große Herausforderungen. Hinzu kommt der wachsende Bedarf an Maßnahmen zu Klimaschutz, Klimawandelanpassung, nachhaltigen Energielösungen und der Sicherung von Daseinsvorsorge – all das unter der Prämisse, zukünftig auf kommunaler Ebene Kosten zu reduzieren. Um aktuelle Problemstellungen und mögliche Lösungsansätze zu diskutieren trafen sich Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern, Regionen und Gemeinden sowie Planerinnen und Planer zur Ortskernwerkstatt.
Good Practices vor Ort: Munderfing als Impulsgeber
Den Auftakt bildete eine Ortskernbegehung am Vortag in Munderfing, bei der die Teilnehmenden gemeinsam mit Bürgermeister Martin Voggenberger und Amtsleiterin Rebekka Krieger verschiedene Projekte zur Stärkung des Ortskerns besichtigten. Gestartet wurde beim Seminarhaus Bräu, einem ehemaligen Gasthaus, das heute als multifunktionales Gebäude mit Seminarbetrieb, Vereinsräumen und Gastronomie genutzt wird und unter anderem durch LEADER-Mittel gefördert wurde. Weitere Stationen waren die Platzgestaltung am Friedhof sowie die Umgestaltung des Dorfplatzes mit dem sogenannten Flößerstrand. Die Idee dazu entstand im Zuge eines Bürgerbeteiligungsprozesses 2015 und soll das Element Wasser u.a. durch eine Kneippanlage erlebbar machen. Zudem wurde die Netzwerkstatt als offener Bildungs- und Gestaltungsort sowie der bisherige Umsetzungsstand des neuen Schulzentrums vorgestellt. Dabei handelt es sich um ein neues, gemeinsames Schulgelände für die örtliche Volksschule und die Neue Mittelschule, bei dessen Planung Freiraumgestaltung und Beteiligung eine zentrale Rolle spielten. Im Rahmen der Exkursion wurden alle Projekte insbesondere unter den Aspekten von Planungs- und Beteiligungsprozessen, Nachhaltigkeit sowie Wirtschaftlichkeit eingehend diskutiert.
Integrierte Entwicklungsplanung als strategischer Kompass
Die Ortskernwerkstatt begann mit einer thematischen Einführung durch die drei einladenden Bundesministerien. Im Mittelpunkt standen der regelmäßig ressortübergreifende Austausch innerhalb einer gemeinsamen Arbeitsgruppe sowie die enge Zusammenarbeit der Ministerien. In der Auseinandersetzung mit der Entwicklung von Orts- und Stadtkernen vereinen sich drei zentrale Schwerpunkte: die Sicherung der Daseinsvorsorge und der Lebensqualität, die Förderung einer qualitätsvollen Baukultur sowie das Streben nach Nachhaltigkeit in Bau und Umbau sowie generell in der Orts- und Stadtentwicklung. Martin Voggenberger, Bürgermeister von Munderfing, begrüßte die Teilnehmenden und präsentierte seine Gemeinde.
Darauf folgte Daniela Allmaier (Raumposition) mit einem Fachinput zum aktuellen Stand der Arbeiten und den bisherigen Ergebnissen im Projekt „Praxisleitfaden für die Integrierte Entwicklungsplanung“, welcher vom BMLUK, BMIMI und BMWKMS beauftragt wurde. Allmeier betont darin, dass ein Integriertes Entwicklungskonzept (IEK) ein lang angelegtes, strategisches Instrument der Raumplanung ist. Dieses lässt sich auf verschiedenen räumlichen Ebenen anwenden – vom Quartier bis zur gesamten Gemeinde und auch interkommunal. Dabei rückt das IEK zentrale Themen wie Nachhaltigkeit, Gemeinwohl und soziale Ausgewogenheit in den Fokus der Orts- und Stadtentwicklung. Im Zentrum steht ein dialogorientierter Prozess, bei dem Fachplanungen, Politik und Bevölkerung gemeinsam Strategien entwickeln und durch fortlaufenden Austausch neue Perspektiven und Anpassungen ermöglichen. Die Veröffentlichung des Leitfadens ist für das Frühjahr 2026 vorgesehen.
Beteiligung als Schlüssel zur Transformation
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Umsetzung integrierter Entwicklungsplanung – geprägt von hoher Komplexität und Spardruck – zwar als Herausforderung wahrgenommen wird, zugleich aber auch als enorme Chance. Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung sind transparente Prozesse, eine sorgfältige Dokumentation sowie klare Kommunikation. Nur so lassen sich Erwartungen, Rahmenbedingungen und finanzielle Spielräume nachvollziehbar darstellen. Ein weiterer zentraler Aspekt ist das demokratische Grundverständnis: Diskussionen, konstruktiver Streit, das Lernen aus Fehlern und die Beteiligung verschiedener Gruppen bilden den Kern des Prozesses. Sie machen Betroffene zu aktiven Mitgestaltenden und fördern ein systemisches Bewusstsein für nachhaltige Ortskernentwicklung. Die Abstimmung entsprechender Förderstrukturen ist dafür unerlässlich. Das Fazit der Diskussion: Eine nachhaltige und zukunftsfähige Orts- und Stadtkernentwicklungen ist möglich – vorausgesetzt, alle Planungsebenen und beteiligte Berufsgruppen arbeiten eng zusammen, bringen Durchhaltevermögen mit und verstehen den Prozess als gemeinsames Lernfeld.
Offener Austausch im Open Space
Am Nachmittag wurde die Veranstaltung in Form eines Open Space fortgesetzt. Die Teilnehmenden waren eingeladen, aktuelle Themen der Ortskernstärkung einzubringen, um diese dann selbstorganisiert in Kleingruppen zu diskutieren und mögliche Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Insgesamt wurden acht zentrale Themen identifiziert, die unterschiedliche Aspekte der Ortskernentwicklung beleuchteten. Diskutiert wurden unter anderem:
- Strategien zum Umgang mit Leerstand
- Möglichkeiten der Bürger:innenbeteiligung
- Multifunktionale Nutzung und Förderung historischer Gebäude
- Interkommunale Zusammenarbeit
- Baukultur als Beitrag zur Ortskernstärkung
- Gestaltung zukunftsfähiger Gemeinschaftsräume
- Anschlussfinanzierung im Leerstandsmanagement
- Rolle von Eigeninitiative in der Ortskernstärkung
Die Diskussionen lieferten eine Vielzahl praxisnaher Erkenntnisse und konkreter Empfehlungen:
- Leerstandsmanagement sollte auf Gemeindeebene angesiedelt sein. Erfolgreiche Beispiele wie der „Gründerraum Obersteiermark“ zeigen die Wirkung regionaler Unterstützung. Aktuell gehaltene Leerstandsdatenbanken und die Prüfung der Marktfähigkeit von Projekten wurden als essentiell hervorgehoben.
- Interkommunale Kooperationen profitieren von klaren Strukturen wie Verwaltungsgemeinschaften und Mehrzweckverbände – deren Abstimmung mit Förderkulissen sollte verbessert werden.
- Bürger:innenbeteiligung bei Leerstandsnutzungen wurde als Schlüsselfaktor hervorgehoben – etwa durch Agenda 21-Prozesse.
- Die multifunktionale Nutzung historischer Gebäude sollte sich am tatsächlichen Bedarf orientieren, die Bevölkerung einbinden und Freiräume mitdenken.
- Im Bereich Baukultur wurden temporäre Maßnahmen als Impulsgeber für langfristige Veränderungen genannt. Das vermehrte Aufzeigen von Beispielen sowie Weiterbildungen und Austauschformate zum Thema sind hier notwendig.
- Beim Thema zukunftsfähiger Gemeinschaftsräume standen kreative Umnutzungen und niederschwellige Beteiligungsprozesse im Vordergrund.
- Für die Anschlussfinanzierung im Leerstandsmanagement wurden eigene Ressourcen, regionale Einbindung und tragfähige Geschäftsmodelle als notwendig erachtet.
- Abschließend wurde betont, wie wichtig Eigeninitiative, private Finanzierungsmodelle und Bürgergenossenschaften für eine lebendige Ortskernentwicklung sind.
Tipp
Alle Videos und weitere Unterlagen vorangegangener Fachtagungen in Zusammenarbeit der drei Bundesministerien finden Sie auf der Seite zum Fachaustausch Ortskernentwicklung.
Weitere Informationen
-
Leerstand mit Aussicht
Das Handbuch dient Interessierten als Leitfaden. Es wurde gemeinsam mit der TU im Rahmen einer Studie erarbeitet und ist Denkanstoß, Inspiration und Hilfestellung für ungenutzte versiegelte Flächen und Gebäude. -
GAP Fördermaßnahmen zur Ortskernbelebung und Reaktivierung des Leerstandes
Im Rahmen des GAP-Strategieplanes wurden im Jänner 2024 zwei neue Fördermaßnahmen eingeführt, die auf die Belebung von Ortskernen und die Reaktivierung von Leerständen abzielen. Für die Förderabwicklung der beiden Fördermaßnahmen sind die Bundesländer zuständig.